Die perfekte Börsenstrategie, Teil 2: Passives investieren

Die Meinungen darüber, welches die beste Strategie an der Börse ist, gehen weit auseinander. Daytrader verkaufen binnen weniger Stunden teils hoch „gehebelte“, also auf Kredit aufgenommene Wertpapiere. Swingtrader versuchen, größere Aufwärtstrends über Wochen bis Monate mitzunehmen.

Dies ist der zweite Beitrag zum Thema „Perfekte Börsenstrategie“. Der vorige behandelte die Jagd auf Aktien.

Hier geht es um passives Investieren. Dabei versucht man nicht, die Aktien mit den größten Gewinnchancen auszusuchen. Stattdessen kauft man einfach Fonds, die den gesamten Markt abbilden.

Die Vorteile des passiven Investierens

Passives Investieren hat mehrere leicht nachzuvollziehende Vorteile:

  • Indexfonds werden ohne Ausgabeaufschlag an der Börse gehandelt und kosten nur sehr wenig Gebühren
  • Man muss nicht versuchen, die besten Aktien zu finden, was laut manchen Quellen sowieso unmöglich ist
  • Indem man den gesamten Markt kauf, erreicht man maximal mögliche Diversifikation
  • Man verschwendet keine Zeit mit der Betrachtung des Depots, sondern lässt es sich von allein entwickeln.
  • Ein Totalverlust ist praktisch ausgeschlossen. Der Wert des Depots wird nie mehr fallen als der Gesamtmarkt und sich voraussichtlich immer wieder erholen.

Damit ist passives Investieren hervorragend für Menschen geeignet, die sich nicht viel mit ihrer Geldanlage beschäftigen und wenig Zeit dafür aufbringen wollen. Insbesondere bei Langfristanlagen kann man so statistisch Renditen von ca. 6% bis 7% erwarten. Das hängt von der Auswahl der Indexfonds und den Marktphasen ab.

Wenn kürzlich der Aktienmarkt einen Crash oder eine größere Korrektur durchlaufen hat, ist es schwierig, auch mit guter Aktienauswahl die Entwicklung von Indexfonds zu übertreffen. Darum ist am Anfang eines Aufwärtstrends passives Investieren eine sehr gute Wahl selbst für Anleger, die sonst ihre Aktien selbst aussuchen.

Die Nachteile des passiven Investierens

Huch, diese Börsenstrategie ist doch nicht perfekt. Warum nicht?

  • Die Zusammensetzung der Indizes ist umstritten. Der Dow Jones Industrial Avergage und der DAX sind sehr bekannte Indizes, enthalten aber beide nur 30 Aktien. Es ist offensichtlich, dass in einem solchen Index die Diversifikation nicht besonders groß ist. Aber in letzter Zeit sind auch im eigentlich sehr breit angelegten S&P500 die größten Werte derart stark gewachsen, dass sie die Entwicklung des Index dominieren.
  • Wie man Aktienfonds der Industriestaaten mit andern Aktienfonds, Rentenfonds, Rohstoffen oder sonstigen Anlagen kombinieren sollte, ist nicht klar. Oft gilt schon ein Welt-Aktienfonds als Abbildung des gesamten Finanzmarktes.
  • Wenn man einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt, nützt einem die garantiert durchschnittliche Entwicklung leider nichts. Aktienindizes können auch mal jahrzehntelang seitwärts laufen (z.B. 70er Jahre). Und wer gerade vor einem Crash um 75% kauft (z.B. DAX von 2000 bis 2003), muss jahrelang warten, bis das Depot sich erholt hat.
  • Wer Fonds kauft, ist zwar offiziell Besitzer der Aktien, wird aber auf den Hauptversammlungen von den Fondsgesellschaften wie Vanguard, Blackrock, Amundi, DWS, Pimco usw. vertreten. Diese Gesellschaften nehmen dann Einfluss auf die Entscheidungen der Firmen.
  • Man kann nicht gezielt in Firmen investieren, die einem besonders gefallen, sondern kauft alle Rüstungsunternehmen, Umweltverschmutzer und Sklavenhalter mit
  • Ein großer Teil des Finanzmarktes, insbesondere mittelständische Smallcaps, bleiben für Indexfonds unerreichbar
  • Man erreicht nicht die maximal mögliche Rendite

Spürbar ist die mäßige Rendite vor allem, wenn man wenig Geld hat. Bei sehr großen Depots hat man kaum eine andere Wahl als die dominanten Aktiengesellschaften zu kaufen. Dann ist der Unterschied zu Indexfonds gering. Mit einem kleinen Anlagebetrag kann es erheblich lukrativer sein, kleine Unternehmen in aussichtsreichen Wachstumsmärkten zu kaufen. Da durch die kleinen Beträge auch der Verlust begrenzt ist, macht es auch nicht viel, wenn man einmal die falschen Aktien erwischt.

Der berühmte Spekulant André Kostolany sagte einmal „Wer viel Geld hat, kann spekulieren, wer wenig Geld hat, darf nicht spekulieren, wer kein Geld hat, muss spekulieren“

Die perfekte Börsenstrategie?

Offensichtlich ist passives Investieren nicht perfekt. Die Frage, ob es möglich ist, die jeweils perfekte Strategie vorher zu bestimmen, ist umstritten. Wer market timing für unmöglich hält und an effiziente Märkte glaubt, ist mit passivem Investieren gut beraten. Für alle anderen werde ich in den nächsten Wochen weitere Ansätze skizzieren, aus denen man sich aussuchen kann, was man für sich als angemessen betrachtet.

Die perfekte Anlagestrategie, Teil 1: Jagd auf Aktien

Viele Anleger suchen nach der perfekten Anlagestrategie, um unterbewertete Aktien zu finden. Börsenratgeber, Blogs (wie dieser), und Finanznachrichten buhlen mit kostenlosen bis teuren Ratschlägen und Artikeln um die Gunst der Anleger. Die Ansätze reichen von breiten Investitionen in den gesamten Markt auf einmal über Spontankäufe moderner Aktien wie Wirecard oder Tesla, die Analyse von Bilanzen bis hin zum Betrachten der Charts auf profitträchtige Muster. Manche entwickeln ihren persönlichen heiligen Gral als Satz von Indikatoren, den sie mit speziellen Tools „backtesten“, um die Überlegenheit ihres Ansatzes zu beweisen.

Dies ist der erste Beitrag zum Thema „Perfekte Börsenstrategie“. Der nächste behandelt das passive Investieren.

Andere Quellen widersprechen der Ansicht, dass es überhaupt einen überlegenen Ansatz geben könnte, denn wenn ein solcher existierte, dann könnten theoretisch alle Menschen damit reich werden. Das führt ins Absurde führt und kann darum nicht stimmen. Eugene Fama hat für diese Ansicht der effizienten Märkte sogar einen Nobelpreis bekommen. Jeder vorübergehend überlegene Ansatz ist dazu verurteilt, nach seinem Bekanntwerden erfolglos zu werden. Sobald die Anleger mit ihrem Kauf- und Verkaufsverhalten die Vorteile vorwegzunehmen versuchen, machen sie sie dadurch selbst unmöglich. Die Börse ist ein reflexives System, auf das jeder Teilnehmer unmittelbar selbst Einfluss nimmt.

Eine hilfreiche Analogie

Ich veranschauliche die Auswahl von Aktien gerne mit einer Analogie. Stellen wir uns vor, wir stehen irgendwo allein in der Natur und sind gezwungen, uns selbst etwas zu essen zu beschaffen. Gibt eine optimale Strategie dafür?

Jagen und Sammeln im Kleinen

Ein naheliegender und allgemein anwendbarer Rat wäre, nach Pflanzen mit essbaren Blättern oder Wurzeln zu suchen. Auf diese Weise wird man zwar nicht sehr schnell satt, aber man hat praktisch immer gute Chancen, überhaupt zu überleben. Diese Art der Nahrungsbeschaffung vergleiche ich mit festverzinsten Bankguthaben; man kann sie immer bekommen und ist damit weitgehend sicher, aber sie sind ein bisschen dürftig.

Die marktbreite Anlage in Indexfonds ist ein bisschen so, als würde man mit dem Maschinengewehr wild in den Wald feuern. Man kann sich ziemlich sicher sein, auf diese Weise immer irgend etwas zu erlegen. Ein paar Vögel, Hasen, Mäuse erwischt man immer, und wenn man Glück hat, ist auch mal ein Reh dabei. Allerdings kann man auch nicht ausschließen, auch mal nur daneben zu schießen.

Jagd auf Großwild

Wenn man auf Größeres aus ist, kann es sinnvoller sein, erst einmal die Spuren im Wald zu betrachten, die Wasserstellen ausfindig zu machen, und sich in der Nähe eines Wildwechsels auf die Lauer zu legen. Wenn man ein Rentier jagen will, sollte man berücksichtigen, wann die Herde ihre jahreszeitlichen Wanderungen unternehmen. Das ist, was Stockpicker tun. Sie untersuchen die Spuren im Chartverlauf, die Lebensgewohnheiten ihrer Beuteunternehmen und warten die saisonalen Zyklen ab, bevor sie handeln. Wenn dann die Rentierherde kommt, spielen nicht zuletzt auch ihre Mitglieder eine Rolle. Entweder man wählt ein leckeres Jungtier, einen stattlichen Bock, oder ein leichter zu treffendes altes Tier, das immerhin noch für eine Brühe taugt. Entsprechend hat man auch bei Aktien immer eine ganze Reihe konkurrierender Unternehmen zur Auswahl.

Aber was, wenn die Umgebung sich als eine ganz andere herausstellt, als der Wald, von dem hier die Rede war? In der Arktis muss man beim Robbenfang völlig anders vorgehen. Mitten in der Sahara hat man womöglich gar keine Chance zu überleben. Auch an der Börse gibt es Phasen, in denen man bei bestem Willen keine optimale Anlagemöglichkeit findet.

Anwendung auf die Anlagestrategie

Die Analogie hinkt natürlich, wie jede andere auch. Ein Fazit erlaube ich mir trotzdem zu ziehen. Es gibt keine eindeutige perfekte Anlagestrategie an der Börse, ebensowenig wie es eine perfekte Überlebensstrategie in der Wildnis gibt. Aber es gibt eine ganze Reihe optimaler Überlebensstrategien zu bestimmten Zeiten in bestimmten Umgebungen. Die Kunst der Jagd an der Börse besteht darin, je nach Umgebungsbedingungen die richtige Strategie zu wählen. Welche man auswählt, hängt sowohl von den eigenen Anforderungen wie Risikofreude und Gier ab wie auch vom aktuellen Marktumfeld, dem Zyklenverlauf, den Leitzinsen, den Modeerscheinung, den politischen Einflüssen wie Wahlen.

Aktueller Ausblick

Heute, am 6.9.2020, befinden wir uns meiner Meinung nach in der Korrektur des Anstiegs seit dem Corona-Tief im Frühling. Bis zur US-Wahl erwarte ich noch fallende Kurse, insbesondere bei Rentieren, äh, Aktien mit Blähungen. In der Hinsicht wäre für mich zum Beispiel Tesla ein Kandidat. Nach der Wahl in den USA steigen die Börsenkurse meist wieder. Immerhin wird die Hälfte der US-Bevölkerung der Meinung sein, den besseren der zwei Kandidaten zum Präsidenten gewählt zu haben. Die Stimmung der Mehrheit wird dann entsprechend gut. Darum erwarte ich ab November 2020 eine gute Jagd auch auf Großwild. Um die US-Wahl herum werde ich mich nach entsprechenden Spuren umsehen.