Aktuelle Marktlage Ende August 2020

Die US-Märkte sind durch die Intervention der FED und das Helikoptergeld der Regierung unverhältnismäßig gestiegen. Der Anstieg stammt allerdings nur von wenige modische Aktien, während die meisten anderen stagnieren. Das ist an sich nichts Neues. Aber inzwischen sind die Rahmenbedingungen, die auf nachlassende Kurse hindeuten, so zahlreich, dass ein Rücksetzer meiner Meinung nach kurzfristig bevorstehen könnte.

Überproportionaler Kursanstieg

Die internationale Wirtschaft hat sich zwar seit dem Covid-19-Einbruch beachtlich erholt. Die Finanzmärkte sind verglichen damit jedoch weit überproportional optimistisch und gallopieren der Wirtschaftsleistung davon. Das liegt unter anderem daran, dass die FED und die EZB über große Konjunkturprogramme viel Liquidität bereitstellen. Das Geld kommt nur leider kaum in Produktion und Konsum an, sondern sucht vor allem nach Investitionsmöglichkeiten. Gleichzeitig mit den Aktienindizes ist auch der Goldpreis dieses Jahr auf Rekordhoch gestiegen. Das wurde begeistert als Aufbruch zu noch höheren Höchstständen aufgefasst. Dieser überschwengliche Optimismus lässt mich eher niedrigere Preise bis Ende des Jahres erwarten. Längerfristig dürfte sich die steigende Geldmenge in höherer Inflation und damit weiter steigenden Rohstoffpreisen niederschlagen. Ja, ich weiß, dass das schon seit einem Jahrzehnt verkündet wird. Eine Weile kann es bis zu steigenden Zinsen auch noch dauern.

Warnhinweise

Was allerdings beim Anstieg auch nicht mitmacht, ist die Breite der börsennotierten Aktiengesellschaften. Vermutlich gilt das ebenso für die unzähligen kleinen Kleinunternehmen und Selbstständigen, deren Firmen nicht an Börsen notiert und darum viel schwieriger zu betrachten sind. In den Indizes tragen vor allem eine Handvoll große Firmen aus dem Hightechsektor den Anstieg, während der große Rest anfängt zu fallen. Diese Entwicklung lässt sich am McClellan-Oszillator verfolgen.

Der McClellan-Oszillator verdient irgendwann einen eigenen Blog-Eintrag. Hier sei nur erwähnt, dass er mehr oder weniger misst, wie „breit“ die aktuelle Kursentwicklung eines Index auf die einzelnen darin enthaltenen Wertpapiere verteilt ist. Positive Werte stehen für positive Entwicklung in einem Großteil der Werte, negative für eine allgemeine negative Entwicklung. Wenn der Kurs des Index stark ansteigt wie in letzter Zeit, aber der McClellan-Oszillator gleichzeitig negativ ist, ist das ein Warnhinweis. Ein Großteil der Werte fällt bereits, und der gesamte Index könnte bald folgen, wenn der Schwung des Restes sich ebenfalls erschöpft.

Anstieg im Hightech-Sektor

Die Werte, die derzeit den Anstieg befeuern, sind diejenigen, die man mit FAANG, FAAMG, FATMAN, GAFAM oder ähnlichen Akronymen abkürzt, namentlich in erster Linie Facebook, Apple, Tesla, Microsoft, Amazon,Netflix, Google. Allerdings kommen in letzter Zeit noch andere stark wachsende Firmen dazu. Ich nenne hier mal exemplarisch ein paar, die mir gerade einfallen: Square, Docusign, Tradedesk, Alteryx, Shopify, Zscaler, Splunk, Fastly, Crowdstrike. Es gibt noch weitere, die die Erinnerung an den Dotcom-Boom um die Jahrtausendwende aufleben lassen. Ihre Bewertungen sind fundamental betrachtet zum Teil ähnlich optimistisch. Quotienten wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) sind zu Recht als Maß für den erwarteten Anlageerfolg umstritten, zumal bei Wachstumswerten, die dazu neigen, ihren Bewertungen davonzuwachsen. Auch das KGV wird einmal einen eigenen Blogeintrag bekommen. Für Firmen, die erst seit kurzem existieren und noch nie Gewinne erwirtschaftet haben, sind die Kurse extrem fortgeschritten. Man kann sie mit einigem Recht als überbewertet betrachten.

Besonders wahnwitzig mutet der Aktienkurs bei Tesla an. Falls Tesla wirklich bis in einigen Jahren zum größten Autohersteller wird, wäre der Börsenwert dann angemessen. Allerdings wachsen Aktienträume praktisch nie dermaßen vorzeitig in den Himmel, ohne zwischendurch wieder erheblich zurückzukommen. Sollte der Optimismus für Teslas glorreiche Zukunft getrübt werden, wäre eine scharfe Korrektur zu erwarten. Neuere Verkaufszahlen deuten darauf hin, dass andere Autohersteller mit ihren E-.Autos an Marktanteil gewinnen –

Saisonalität

Traditionell sind die zwei Monate September und Oktober vor den Wahlen in den USA eine Zeit fallender Kurse. Obwohl einzelne Jahre von diesem Muster natürlich auch stark abweichen können, spricht das zumindest ein bisschen dafür, dass es derzeit besser sein könnte, sich von Aktienengagements zurückzuhalten.

Ausblick

Dies ist keine Prognose, sondern nur eine Mutmaßung und auf keinen Fall Grund für irgendwelche Anlageentscheidungen.

Es wäre denkbar, dass die großen Finanzmärkte von Anfang September bis Ende Oktober 2020 zweistellig nachgeben. Nach der US-Wahl dürften sie wieder anzusteigen. Um die Wahl herum wäre daher womöglich ein guter Zeitpunkt, um wieder Aktien zu kaufen.

Das Orderbuch

An der Börse gibt es keine Preisschilder wie im Supermarkt, deren Preise vom Marktleiter festgelegt werden. Man kennt zwar die offiziellen Kurse, aber diese kommen durch Angebot und Nachfrage dynamisch zustande und geben nicht an, zu welchem Preis man tatsächlich als nächstes wird handeln können. Dafür gibt es das sogenannte Orderbuch.

Wenn man an der Börse z.B. mit Aktien handeln will, lässt man von seinem Broker eine Order ins Orderbuch einstellen. Vom Börsenmakler (oder Market maker) werden dann Kauf- und Verkaufsorders zusammengeführt, und der Handel kommt zustande, oder auch nicht, falls die Preisvorstellungen nicht zueinander passen.

Limitierte Order

Beim Einstellen der Order hat man die Wahl, ein Limit anzugeben, wie viel Geld man maximal ausgeben bzw. minmal verlangen möchte – oder man kauft zu den gerade verfügbaren Preisen, was man dann „bestens“ bzw. „billigst“ nennt. Dabei ist „billigst“ nicht unbedingt billig , sondern nur das am wenigsten teure gerade vorhandene Angebot im Orderbuch. Am besten lassen sich die Vorgänge wohl mit einem Beispiel verstehen.

Beispiel Bauernmarkt

Stell dir einen Bauernmarkt vor. Bauer Ewald verkauft 5 Kilo Tofu aus Schweineprotein. Er hätte gerne 3 Euro für eine Portion Schweinetofu. Er ist aber so schlau zu wissen, dass er die nicht für alles bekommen wird, denn der offizielle Kurs des letzten Handels von gestern war bei nur 1,50 Euro. Darum erstellt er Angebote über 1 Kilo zu 2 Euro, um überhaupt sicher was zu verkaufen, über 2 Kilo zu 3 Euro, und, um seinen Schnitt zu machen, 2 Kilo zu 4 Euro.

Ich will 1 Kilo Tofu kaufen, weil ich Gäste bekomme, die so was mögen. Aber mehr als 1 Euro will ich eigentlich nicht ausgeben. Du willst auch 1 Kilo Schweinetofu kaufen, um es mal zu probieren, aber weil es dir nicht so wichtig ist, bietest du nur 50 Cents. Dann sieht das Orderbuch für Schweinetofu so aus:

Ask / Brief (engl. bzw. deutsch für Verkaufsangebote):
2 Kilo 4
2 Kilo 3
1 Kilo 2
Bid / Geld (engl. bzw. deutsch für Kaufgebote):
1 Kilo 1
1 Kilo 0,50

Erstmal passiert nichts. Dann kommt plötzlich die reiche Tante Erna vorbei und kauft 2 Kilo Schweinetofu für den sogenannten „billigsten“ Preis, d.h., so günstig wie gerade angeboten wird, weil sie es eilig hat. Sie schnappt das Sonderangebot weg und ein Kilo vom mittleren und bekommt so einen Durchschnittskus von 2,50.

Der offizielle Kurs steigt damit auf 3 Euro, weil der Makler ordnungsgemäß von unten nach oben 1 Kilo zu 2 und dann ein Kilo zu 3 zuteilt. Pech für mich, dass ich zu geizig war – nun wird es für mich vielleicht erst recht teuer. Ich krieg Panik und erhöhe mein Kauflimit auf 1,50 Euro, damit ich meinen Gästen vielleicht doch was servieren kann. Aber auf 3 Euro will ich doch nicht gehen.

Ask / Brief:
2 Kilo 4
1 Kilo 3
Bid / Geld:
1 Kilo 1,50
1 Kilo 0,50

Dann kommen plötzlich schlechte Nachrichten rein. Beyond Plants verkauft auf einmal noch billigeren Tofu aus Klärschlamm. Der Tofumarkt wird nervös, und Bauer Ewald merkt, dass er Gefahr läuft, dass keiner mehr seinen Schweinetofu haben will. Er senkt seine Verkaufspreise auf 1,50 und 2,50 Euro und plupp, bekomme ich den Zuschlag für mein Kilo zu 1,50.

Ask / Brief:
2 Kilo 2,50
Bid / Geld:
1 Kilo 0,50

Jetzt stehst du vor einer schwierigen Entscheidung – willst du doch noch schnell Tofu kaufen, bevor die Börse schließt, oder hoffst du auf noch weiter fallende Kurse?

Die Tofupanik nimmt zu. Bauer Ewald verliert die Nerven und senkt seinen Preis auf den sogenannten „besten“ Preis, d.h. den höchsten gerade gebotenen. Glückwunsch für dich Du bekommst das letzte Kilo zum neuen offiziellen Kurs von 0,50 Euro. Und Bauer Ewald bleibt auf einem Kilo sitzen.

Ask / Brief:
1 Kilo 2,50

Der Spread

Praktisch ist das Thema zum Glück nicht immer so wichtig, denn dicke liquide Aktien kann man oft ruhig bestens/billigst zu gerade angebotenen Preisen kaufen, weil sich Bid und Ask kaum unterscheiden. Den Unterschied zwischen den beiden nennt man den „Spread“. Bei Aktien kleinerer Firmen kann der Spread beträchtlich sein und dazu führen, dass gerade gekaufte Aktien nur mit einem Verlust von mehreren, teils zweistelligen Prozenten wieder verkauft werden können. Darum sollte man den Spread beim Abschätzen möglicher Kursgewinne mit berücksichtigen.

Crash und StopLoss

Das Orderbuch sollte man es außerdem für den Ernstfall kennen, denn wirklich wichtig wird es auch im Crash. Es gibt Verkaufsorders, die automatisch auslösen, wenn der Kurs eine bestimmte Schwelle unterschreitet (sog. „StopLoss“). Man hofft dadurch, den Verlust zu begrenzen. Manchmal misslingt das trotzdem, weil diese Orders dir keinen Verkaufspreis garantieren können. Wenn du bei Tesla jetzt einen StopLoss von 2000 Dollar setzt und es dann einen veritablen Crash gibt, können die Aktien in großen Bündeln so schnell abgestoßen werden, dass dein Kleinanleger-Stopp in der Nähe deines StopLoss-Kurses überhaupt keinen Käufer findet, das Orderbuch auf der Bieterseite ruckzuck leer ist und erst 50% tiefer wieder gehandelt wird.

Es gibt auch Varianten des StopLoss, bei der man noch einen Mindestpreis angeben kann, unter dem nicht gehandelt wird. Dann sitzt man aber auf seinem hohen Verkaufsangebot wie Bauer Ewald auf seinem Tofu, während die Kurse immer tiefer rauschen. Ob das sinnvoll ist, hängt dann von der Aktie und der Art des Kurssturzes ab. In einem Fall wie Wirecard, das 2020 vom Vorzeige-Hightech-Unternehmen zum Betrugsfall enttarnt wurde und um 99% an Wert verloren hat, wäre jeder ausgeführte StopLoss einem Verkaufslimit vorzuziehen gewesen.

Über Gewinn und Wahnsinn

Noch mehr Finanzblogs braucht die Welt vielleicht inzwischen nicht mehr, aber einen Grund habe ich, noch im Jahr 2020 neu anzufangen. Mein Patenkind ist volljährig geworden, verwaltet ab sofort ein eigenes Depot und kann den einen oder anderen Tipp dazu gebrauchen. Zuerst habe ich ab und zu Mails geschrieben, aber das hat sich als etwas zu unstrukturiert erwiesen. Mit diesem Blog kann ich die Informationen besser einteilen, verpacken und für die Zukunft aufbewahren, und sie sind leichter abzurufen und wiederzufinden.

Das erklärt auch, worum es vor allem gehen wird: Alles, was heranwachsende Neulinge wissen wollen oder sollten, um im Haifischbecken der Finanzmärkte zurechtzukommen und hoffentlich eine gute Rendite zu errreichen. Wer schon mit Aktien zu tun hatte, weiß, wie verunsichert man am Anfang sein kann, und wie sehr man auf die Nase fallen kann.

Damit mein Patenkind selbst Verwantwortung über die Entscheidungen übernehmen kann, werde ich verschiedene Alternativen vorstellen. Natürlich wird mein persönlicher Anlagestil durchschimmern. Neben absoluten Grundlagen wie Anlageklassen und Börsenhandel wird es auch um andere Dinge gehen, die mir gerade einfallen. Dazu gehören z.B. auch exotischere Indikatoren oder aktuelle politische Ereignisse.

Ich hoffe, dass Gewinn und Wahnsinn nicht nur meinem Patenkind ermöglicht, trotz Wahnsinn an den Finanzmärkten ein bisschen Gewinn daraus zu ziehen.